Das Kladower Luxusbad
60. Dorfgeschichtliche Wanderung durch die Siedlung Wochenend-West zur Schilfdachkapelle am 22. April 2023

Die bereits 60. Dorfgeschichtliche Wanderung startete am 22. April 2023 pünktlich um 14 Uhr vom Parkplatz Seekorso/Kurpromenade bei tollstem Frühlingswetter. Eingeladen hatte wieder die Werkstatt Geschichte des Kladower Forums. Der Sprecher der Werkstatt konnte über 50 Teilnehmende(!) begrüßen und in das Thema „Siedlung Wochenend-West, Schilfdachkapelle“ einführen.
Im Wechsel erläuterten Peter Streubel, Georg Stöcker, Hanne Ritter und Manfred Reusch die einzelnen Schwerpunkte der Wanderung.

Luftbild Wochenend-West, 1930
Quelle: Kladower Forum e. V., Archiv Werkstatt Geschichte; Bearbeiter: Peter Streubel

Gigantisches geplant
Den Auftakt der zweistündigen Wanderung machte sehr versiert Georg Stöcker. In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, so berichtete er, war Gigantisches auf einem Teilstück des ehemaligen Ritterguts von Wollank geplant. Eine Aktiengesellschaft hatte ein großes Grundstück gekauft und in rund 500 Teile parzelliert in der Hoffnung, dass natur- und lufthungrige Berliner:innen hier ihre Wochenendhäuser errichten würden.
Auf dem gesamten Terrain standen früher Fichten, von denen schon vor dem Verkauf ca. 40% gefällt worden waren, um auf dem Feld Roggen anzupflanzen (der „große Kahlschlag“). Die Parzellen bekamen Wasser und Strom. Um Kaufinteressierte anzulocken, waren im Plan ein Luxusbad auf der in den See ragenden Halbinsel, ein Kurhaus (deshalb der Straßenname „Kurpromenade“) und ein Edelrestaurant vorgesehen. Sogar eine U-Bahn-Anbindung sollte es geben. Bis 1939 wurden 90% der Parzellen verkauft.
Persönlichkeiten
Manche bekannte Persönlichkeiten ließen sich hier nieder, unter anderem die Schauspielerin Olga Tschechowa, Carl Raddatz (1912 bis 2004), Film- und Theaterschauspieler sowie Synchronsprecher von Humphrey Bogart, Robert Taylor, Burt Lancaster und Lee Marvin oder der bedeutende Toningenieur für Filmtontechnik Joseph Massolle (*1898 ♱1957).
Haustypen
Ein Schwerpunkt der Wanderung waren die verschiedenen Haustypen, die wir in der Kolonie finden. Da wären z. B. ein einräumiges Steinhaus, das rustikal-mediterrane Haus Poloczek, die kleine Laube oder das Haus Ruegenberg, in dem der russisch-stämmige Architekt und Designer Sergius Ruegenberg (1903 bis 1996) wohnte, der für Scharoun und Ludwig Mies van der Rohe arbeitete.
Halt machten wir auch vor dem Kladower Kupferhaus mit seinen Besonderheiten. Es war eines der ersten Fertighäuser.  Die Deutsche Kupferhausgesellschaft mbH (DKH) bot ab Mitte 1933 Kupferhäuser zum Kauf an; einige Juden, die rechtzeitig aus Deutschland nach Palästina emigrierten, konnten solche Häuser als „Umzugsgut“ mitnehmen.
Teilung Groß-Glienickes und Schilfdachkapelle 
Ein wichtiges Thema war die Abtrennung der Siedlung Wochenend-West von Groß Glienicke als Folge des 2. Weltkriegs. Der britischen Besatzungsmacht war der Flughafen Gatow zugesprochen worden. Die Siedlung Wochenend-West, die am Ende der Startbahn lag, gehörte aber 1945 als Teil Groß-Glienickes zur sowjetischen Besatzungszone. Deshalb wurde 1947 ein Gebietstausch vorgenommen: West-Staaken kam in den sowjetischen Einflussbereich und Wochenend-West zum Bezirk Spandau. Da von dieser Änderung auch die Kirche betroffen war, endete unsere Wanderung nicht zufällig an der Schilfdachkapelle, die gerade ihren 70. Geburtstag feierte. Ich verweise hier auf die gut dokumentierte Geschichte der „Schilfdachkapelle an der Grenze“. Das Buch ist bei der Kirchengemeinde und beim Kladower Forum erhältlich.
Der Schlusspunkt der Wanderung: die Schilfdachkapelle
Foto: Anette Beuttner

Eine persönliche Anmerkung
Wir wohnen zwar bereits seit 1985 in Kladow und haben mit dem Fahrrad auf dem Weg zum Groß- Glienicker See einiges erkundet, von einer Siedlung Wochenend-West und seiner Geschichte hatte ich noch kaum etwas gehört. Gut, Straßennamen wie Kurpromenade oder Seekorso hatten schon ein Fragezeichen auf meine Stirn projiziert, doch nachgefragt, woher diese Namen denn kämen, hatte ich noch nicht. Kurz, für mich war die Wanderung genau das Richtige, um diesen weißen Flecken auf meiner Kladower Landkarte zu beseitigen. Sicher gab es unter den Teilnehmenden Leute wie mich, doch auch richtige Expertinnen und Experten, die aus eigener Erfahrung berichten konnten.
Der Berichterstatter ist seit Kurzem Mitglied in der Werkstatt Geschichte des Kladower Forums. Er wohnt am Anfang des Sakrower Kirchwegs.
Werner Würtele