Das Spiel mit der Spiegelung

Das Spiel mit der Spiegelung
Thema der Gruppenausstellung Kaleidoskop 2018

Einst war der Jüngling Narziss vom Stolz auf seine eigene Schönheit so erfüllt, dass er alle seine Verehrerinnen herzlos zurückwies und von der Göttin Artemis mit unstillbarer Selbstliebe bestraft wurde. Als er sich im Wasser sah, verzehrte er sich und verschmachtete vor seinem Spiegelbild bis er starb. In der Erzählung des Dichters Ovid verwandelt er sich danach in eine wunderschöne Narzisse.

„Spiegelungen“ wurde als Thema der diesjährigen Gruppenausstellung Kaleidoskop ausgewählt. Diese  findet zum 6. Male, am 29. und 30. September in Kladow und Groß Glienicke, jeweils von 13  bis 18 Uhr statt.

Kunstschaffende beider Orte sind zur Teilnahme eingeladen, um ihre  Arbeiten einer breiten Öffentlichkeit zu zeigen. Der künstlerischen Fantasie werden keine Grenzen gesetzt.

Rein physikalisch betrachtet können Gegenstände, je nach Art und Beschaffenheit der Oberfläche, einen Teil des auf sie fallenden Lichtes reflektieren. Manch einer wird sich noch – gerne oder weniger gerne –  an den Physikunterricht erinnern, als man einem das einfach zu erklärende Gesetz der Spiegelung beizubringen versuchte: Einfallswinkel ist gleich Ausfallswinkel.

Mit diesem Phänomen haben sich Maler, Zeichner, Bildhauer und Fotografen immer wieder auseinandergesetzt. Besonders für letztere stellen Spiegelungen seit der Erfindung dieses Mediums ein festes und unerschöpfliches Repertoire dar – angefangen von den klassischen Motiven wie Wasser, Gebäuden, Pfützen und Fenster bis hin zur Abstraktion. Betrachtet man die Figuren-, Personen- und Selbstbildnisse in der Kunstgeschichte, so hat die Spiegelung eine lange Tradition. Dabei spielen nicht allein die reine Nachahmung der Natur und die flüchtigen illusionären Abbilder für die Künstler eine Rolle. Es geht vielmehr um den Moment der Überraschung, der Irritation, des Unverhofften und um das Hintergründige, das den Betrachter anziehen und zum nachdenken anregen soll. In vielen Bildern der alten Meister möchte der Spiegel und das darin Gespiegelte die eigene Vergänglichkeit und die alles Irdischen, auch unter dem Begriff vanitas (lat. „Eitelkeit“, „leerer Schein“) bekannt, vor Augen führen. In der Moderne rückt das Befremdende und das Unerwartete in den Vordergrund. Ich denke dabei vor allem an den Surrealisten René Magritte (La reproduction interdit, 1937) und an den niederländischen Zeichner und Grafiker M. C. Escher. Dieser – bekannt durch seine unmöglichen Räume und optischen Täuschungen – experimentierte in seinem Werk in einer Vielzahl  überraschender Variationen mit einer abgewandelten Form der Spiegelung: dem Bild im Bild, das sich selbst enthält.*

Auch ein Kaleidoskop, mit dem ich als Kind so gerne spielte, dass ich die Zeit und die Welt um mich vergessen konnte – Namensgeber der jährlich stattfindenden Ausstellungsreihe –  basiert auf eine komplexe Anordnung von Spiegeln. Mit der Hilfe des einfallenden Lichts sieht der Betrachter die Welt in ständig wechselnden Formen und Farben.

Eine Spiegelung ist auch immer ein Spiel mit realen und imaginären Räumen und der Erschaffung von Illusionen. Die künstlerische Annäherung an dieses Thema ist so vielfältig wie das individuelle Kunstwerk selbst. Dabei werden beide Seiten unzertrennlich miteinbezogen: der Künstler und der Betrachter. Ob es sich um eine Landschaftsdarstellung, ein Porträt oder eine Plastik handelt, es ist jedem einzelnen überlassen, auf welcher Weise er sich dem Thema nähert. Aber er wird dabei immer seine eigene Sicht, seinen Spiegel der Welt, in der wir leben, reflektieren.

Text: Monika Aladics; Foto: Helmut Görgen