imchen Interview
mit Christine Kolbe – Alberdi
vom Gemeinschaftshospiz Havehöhe

Anlässlich der 750 Jahr Feier Kladows beschloss der Vorstand des Kladower Forums den 1995 gestifteten Walter-Böttcher-Preis zu vergeben. Eine unabhängige Jury zur Vergabe entschied, den Preis dem Gemeinschaftshospiz Christophorus im Krankenhaus Havelhöhe zu verleihen. Der Vorstand des Kladower Forum und die unabhängige Jury ehren damit eine Einrichtung in Kladow, die sich in vorbildlicher Weise um die Versorgung und Begleitung Schwerstkranker und Sterbender kümmert.

Angeregt durch die Preisverleihung führte Hartmann Baumgarten am 9. November 2017 für die Ortsteilzeitung “imchen” das folgende Interview:

imchen: Frau Kolbe – Alberdi, auf dem Flyer des Gemeinschaftshospizes Christophorus steht der Wahlspruch „In Sterben und Tod – von Leben umgeben“. Ist dieser Spruch die Devise des Gemeinschaftshospizes Havehöhe?

Christine Kolbe – Alberdi: Dieser Leitspruch ist zunächst bedingt durch unser anthroposophisches Welt- und Menschenbild. Er wurde von dem Gründungsteam des Gemeinschaftshospizes 2004 ausgesucht. Wir befinden uns mit dem Hospiz auf dem Gelände des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe im zweiten Geschoss eines Hauses, in dem im Erdgeschoss das Geburtshaus ist, wo Menschen den Erdenplan betreten. Und hier im zweiten Stock verlassen sie ihn wieder. Wir sind also voll vom Leben umgeben. Auch absolvieren Schüler z.B. der Eugen – Kolisko – Schule, junge Menschen, im Hospiz ihr Sozialpraktikum. Wir beziehen uns auf die Worte des Dichters Novalis, die treffend zum Ausdruck bringen, was sich hier im Haus 11 tagtäglich abspielt. „Wenn ein Geist stirbt, wird er Mensch. Wenn der Mensch stirbt, wird er Geist.“ Es gibt wirklich nichts Berührenderes, als wenn man in dieses Haus unten eintritt und es kommt einem ein frischgebackener Vater mit seiner gerade entbundenen Frau und einem Neugeborenen entgegen. Dann kommt man hier nach oben und sieht vor einer Zimmertür ein Lichtlein stehen. Man weiß, hier hat es wieder jemand geschafft.

imchen: Kommen wir zu Ihnen selbst, Frau Kolbe – Alberdi. Sind Sie Pflegerin, Ärztin? Aus welchem Berufsbereich kommen Sie?

Christine Kolbe – Alberdi: Ich bin Krankenschwester. Ich habe in den achtziger Jahren meine Ausbildung am damaligen Universitätsklinikum Charlottenburg gemacht.

imchen: Haben Sie nach der Ausbildung schon immer in einem anthroposophischen Krankenhaus gearbeitet oder sind Sie erst später zu der Entscheidung gekommen, unter anthroposophischen Prämissen zu arbeiten? Dieser Entschluss verlangt ja von einem etwas.

Christine Kolbe – Alberdi: Genau. Es verlangt von einem die Suche. Ich hatte mich kurz nach dem Ende der Ausbildung auf eine innere spirituelle Suche gemacht, um mir zu erklären, warum Menschen leiden und sterben. Entscheidend war schließlich eine besondere Erfahrung. Nach einem Studium an der Humboldt Universität im Bereich des Pflegemanagements stieß ich 2000 auf eine Stellenanzeige des Krankenhauses Havelhöhe für eine Pflegepatenstelle, woanders Abteilungsschwester genannt. Sehr beeindruckend wirkte auf mich das außergewöhnliche Vorstellungsprozedere, das mit einem anderthalbstündigen Gespräch bei dem damaligen Geschäftsführer des Gemeinschaftskrankenhauses, Herrn Dr. Bersdorf, anfing. Das war mir bis dahin als Geste in keinem Krankenhaus begegnet. Anschließend machte ich zwei Hospitationen auf sehr unterschiedlichen Stationen. Eine davon auf der Allgemeinen Inneren Station mit dem Schwerpunkt Onkologie des damaligen stellvertretenden ärztlichen Leiters des Krankenhauses Herrn Dr. Girke. Dort erlebte ich zum ersten Mal, dass man mit Verstorbenen anders umgehen kann, als ich es bisher kennengelernt hatte. Am Tag der Hospitation war eine Patientin gestorben. In der Mittagszeit nach der Übergabe fanden sich die Ärzte, Therapeuten und Pflegenden zusammen, gingen in die Aufbahrung und gedachten der Verstorbenen unter Leitung von Herrn Dr. Girke in einem Verabschiedungsritual. Danach war für mich klar, hier auf dem Campus Havelhöhe meinen weiteren Berufsweg zu beschreiten. Ich habe es bis heute nicht bereut.

imchen: Sie praktizieren im Hospiz die konventionelle Pflege und bieten gleichzeitig anthroposophisch orientierte Therapien an. Werden derartige medizinisch orientierte Therapien von den Hospizpatienten angenommen?

Christine Kolbe – Alberdi: Den leichtesten Zugang zum Patienten mit anthroposophischen Anwendungen hat tatsächlich die Pflege, indem sie diese in pflegerische Verrichtungen der sogenannten Grundpflege integriert. Bei der Körperpflege macht es einen sehr großen Unterschied, ob ich eine beliebige Seife verwende aus einem Supermarkt oder wohlriechende, therapeutische Substanzen. Das geschieht immer in Absprache mit dem Patienten. Außerdem ist es enorm wichtig wahrzunehmen, was der Patient braucht. Wenn ich z.B. bei einem Patienten wahrnehme, dass er eine Anregung braucht, weil er nicht in den Morgen hineinkommt, werde ich eine Rosmarinbadesubstanz verwenden, die mit dem kräftigen Geruch des Rosmarin erweckend wirkt. Wenn der Patient gegen Abend etwas Beruhigendes benötigt, kann ich eine Lavendelsubstanz anwenden. So lassen sich anthroposophische Anwendungen wie selbstverständlich mit einfügen in die ganz normale Körperpflege.

imchen: In vielen sozialen Berufsbereichen, insbesondere in der Pflege fehlt der Nachwuchs. Haben Sie viele jüngere Mitarbeiter, die Sie in der Pflege und Betreuung hier unterstützen? Oder ist das Durchschnittsalter der pflegenden, auch der ehrenamtlichen Mitarbeiter eher hoch?

Christine Kolbe – Alberdi: Wir haben in unserem Pflegeteam im Durchschnitt ältere Mitarbeiter als auf einer Station in einem Krankenhaus. Es ist eher selten, dass Berufsanfänger bei uns starten und dann auch länger bleiben. Manchmal kommen junge Kolleginnen mit sehr viel Elan an. Sie und auch wir merken dann vielleicht, dass sie für die besonderen Pflegeaufgaben hier einfach noch etwas zu jung sind. Grund dafür können fehlende Berufs- und Lebenserfahrungen für diesen besonderen Arbeitsbereich sein. Möglicherweise fehlt es auch noch an eigener spiritueller Entwicklung. Andererseits gibt es junge Kolleginnen, die durch eigene, besonders prägende Erlebnisse in Kindheit oder Jugend so eine menschliche Reife mitbringen, dass sie hier bei uns die Arbeit meistern. Ja, wir suchen! Aber, welcher Pflegebereich sucht nicht. Ich höre alle Tage wieder, dass in Deutschland inzwischen ganze Krankenhausstationen geschlossen werden müssen, weil Pflegende fehlen. Der Pflegenotstand betrifft alle Bereiche, wo Pflegende tätig sind.

imchen: Die Pflege und Sterbebegleitung im Gemeinschaftshospiz wird von vielen ehrenamtlichen Mitarbeitern unterstützt, die auch bei der Verleihung des Walter Böttcher Preises im Gemeindehaus der Evangelischen Kirche Kladow zahlreich anwesend waren. Was sind die Motive der Ehrenamtlichen schwerstkranke und sterbende Menschen im Hospiz zu begleiten?

Christine Kolbe – Alberdi: Dafür gibt es viele verschiedene Motive. Neben rein altruistischen Gründen kann der Impulsgeber auch eine eigene durchgemachte schwere Erkrankung sein. Ebenso ist es möglich, dass das Sterben und der Tod von Familienangehörigen oder Freunden das entscheidende Motiv für das Engagement sind. Über die Gründe sprechen die Koordinatoren des ambulanten Hospizdienstes Christophorus mit den Anwärtern auf das Ehrenamt. Es wird erörtert, ob es vielleicht noch zu früh ist nach einem eigenen Schicksalsschlag, ob vielleicht das eigene Erleben noch zu stark im Vordergrund steht. Denn das kann das Hinwenden zu anderen Menschen erschweren. Ehrenamtliche werden in einer Schulung auf ihre anspruchsvolle Aufgabe vorbereitet Es gibt jetzt eine sechsmonatige Schulung, verkürzt mithilfe von Intensivwochenenden. Das ist unbedingt die Vorbedingung, um dann das Praktikum im stationären Hospiz anzutreten. Die „Neuen“ werden von erfahrenen Ehrenamtlichen mitgenommen und in die praktische Arbeit eingeführt. Nach einem erneuten Gespräch mit den ehrenamtlichen Koordinatoren wird dieser frisch geborene Ehrenamtliche zu den schwerstkranken Menschen erst geführt, sei es im Hospiz oder auch zu Hause. Gerade auch die ambulante Begleitung erfordert ganz besondere Fähigkeiten, weil es etwas ganz anderes ist, wenn man in die Häuslichkeit eines Menschen geht.

imchen: Kommen wir zum Walter Böttcher Preis. Haben Sie sich gefreut?

Christine Kolbe – Alberdi: Aber wie! Wenn ich das Verhältnis zwischen der Havelhöhe und seiner Umwelt sehe, erkenne ich, dass wir es geschafft haben, uns zu etablieren und akzeptiert zu werden. Alles das, was an Vorbehalten bestand, hat sich aufgrund von positiven eigenen Erfahrungen und Erzählungen nivelliert. Ich möchte meinen, dass die Havelhöhe einen guten Ruf hat.

imchen: Der Einschätzung stimme ich zu. Frau Kolbe – Aberdi, was würden Sie sich für die Institution Gemeinschaftshospiz und für sich selbst in der nächsten Zeit wünschen?

Christine Kolbe – Alberdi: Was würden wir und ich mir wünschen? Das werden Sie wahrscheinlich von jeder Pflegeeinrichtung heute hören: dass es auch in Zukunft genügend engagierte Pflegende geben möge, die in der Betreuung von schwerstkranken und sterbenden Menschen tätig sein möchten. Wir wünschen uns junge Menschen, die motiviert sind, den Pflegeberuf zu ergreifen und sich nicht blenden lassen vom schnellen Geld oder der Karriere. Vielleicht gibt es junge Menschen, die jetzt auf dem Hans – Carossa – Gymnasium oder der Eugen – Kolisko – Schule ihr Abitur machen und nach ihrer Ausbildung oder ihrem Pflegestudium zu uns kommen. Das sind so meine Zukunftsvisionen. Ohne Pflege und andere soziale Berufe gibt es keine lebenswerte Gesellschaft!

imchen: Vielen Dank.

Wir danken der Redaktion des imchen für die Genehmigung das Interview hier zu veröffentlichen.

Foto: Übergabe des Walter-Böttcher-Preis, Quelle: imchen 2017